Dass dieser Vorschlag für eine Hochbahn am Auwaldrand völliger Quatsch ist, darüber dürften sich die meisten hier wohl einig sein. Dennoch bin ich mir sicher, dass dieser zweite nicht der letzte LVZ-Artikel dazu sein wird. Ich gehe davon aus, dass die Hochbahn in absehbarer Zeit im Stadtrat durch den Antrag einer Fraktion oder einer oder mehrerer Stadträte/Stadträtinnen Thema werden wird und unter Umständen daraus auch ein Prüfauftrag für die Stadtverwaltung erwächst. Was führt mich zu diesen Annahmen? In erster Linie der LVZ-Artikel selbst und die bisherigen Reaktionen.
Problematisch ist in meinen Augen nicht, dass sich ein 26-jähriger "Projektentwickler" etwas zusammenspinnt oder Andreas Tappert damit seine Spalten in der ereignisarmen Zeit "zwischen den Jahren" füllt, sondern dass sich die verkehrspolitische Sprecherin der Leipziger CDU-Fraktion, Stadträtin Sabine Heymann, dem Artikel zufolge für nähere Untersuchungen ausgesprochen hat. „Leipzig ist eine Großstadt und braucht endlich auch ein großstädtisches Verkehrsangebot“, erklärte sie. „Dazu gehört eine S-Bahn, die sowohl wesentliche Verkehrsquellen erschließt als auch das Umland vielfältig anbindet. Die vorgestellte Idee wird genau diesem großstädtischen Anspruch gerecht. Sie schafft keine kleine Leipzig-Lösung, sondern einen mehrfach vernetzten Ring, der den ländlichen Raum um Leipzig besser erschließen hilft. Nur so kann der Verkehrskollaps der wachsenden Stadt verhindert werden. Nur so kann Leipzigs Entwicklungsschub auch zu einem Entwicklungsschub für die Nachbarkommunen werden.“
Weiter heißt es in dem LVZ-Artikel, der Projektentwickler "tritt deshalb jetzt an alle Ratsfraktionen heran, um sie für diese Idee zu gewinnen. Sein Ziel: Sie sollen die Stadtverwaltung beauftragen, sich mit der Hochbahn zu beschäftigen und vielleicht eine Studie in Auftrag zu geben, wie es München derzeit für eine Seilbahnstrecke über den dortigen Frankfurter Ring macht."
Jetzt können wir spekulieren, welcher einzelne Stadtrat/welche Stadträtin, welche Gruppe oder welche Fraktion so einen Prüfauftrag für die Stadtverwaltung einbringen und warum sie das tun könnte. Wir können aber auch auf die Präsenz der Stadträtin Sabine Heymann (CDU) in einem bekannten sozialen Netzwerk schauen, auf der sie den Beitrag in der heutigen LVZ mit dem Kommentar teilt: "Nach dem Citytunnel braucht es eine weitere Innovation, um dem Verkehr in Leipzig und Umgebung Beine zu machen."
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=2014200618655846Über die Motive können wir weiterhin nur spekulieren. Das habe ich getan: Ich glaube, eine wesentliche Motivation für das Sinnieren über völlig unrealistische Großprojekte wie diese Hochbahn oder einen zweiten Citytunnel ist die Hoffnung, dass beim (Straßen)-Verkehr irgendwie alles besser wird, ohne das sich für den MIV etwas verändert. Neue Straßenbahnlinien würden ja Platz für Autospuren und/oder Parkplätze wegnehmen.
LVZ-Redakteur Andreas Tappert ist ein großer Freund des Autos und des ungehinderten Autoverkehrs einschließlich vieler und breiter Parkplätze. Davon abgesehen hat die LVZ ein ganz anderes Ziel als vorausschauende und realistische Verkehrsplanung. Die will ihre letzten Leser_innen (zumindest bei den Druckausgaben mit eher hohem Durchschnittsalter) erfreuen, mit Umfragen zum Klicken animieren und so noch bei der Stange halten.
Bei den mit Verkehrsplanung befassten Mitarbeiter_innen der Stadtverwaltung ist auf jeden Fall klar, dass dieser Hochbahn-Vorschlag weder sinnvoll noch überhaupt machbar ist (Finanzbedarf, Naturschutz, Eigentum der dafür notwendigen Grundstücke, ...).
Bei manchen Kommunalpolitiker_innen bin ich mir da nicht so sicher. Und die Ziele und Zeithorizonte des eigenen Handelns sind andere. Wie gesagt, der Straßenbahnausbau müsste vergleichsweise schnell konkret werden (ab 2024) und es gibt Flächenkonkurrenzen vor allem mit dem MIV. Da fantasiert man doch viel lieber über ein "großstädtisches Verkehrsangebot", das eben nicht Straßenbahn heißt und das irgendwo im Nichts alle Probleme lösen wird. Man nimmt Bürger_innenvorschläge auf ("In der LVZ-Umfrage waren die meisten dafür."), ist innovativ, zukunftsgewandt und dreht das ganz große Rad (und hängt nicht an der Straßenbahn von vorgestern fest). Demnächst ist Kommunalwahl, da sind längere Erwähnungen in vier, fünf LVZ-Artikeln ala "Warum unternimmt der Stadtrat denn immer noch nichts in der Sache? Nur die ... setzt sich dafür ein." viel wert.
Parallel werden ja auch noch der Tunnel vor dem Hauptbahnhof, der Tunnel unter der Jahnallee zwischen Waldplatz und Färberstraße, der Tunnel Uferstraße-Nordbrücke-Parthenstraße und etwa 78 weitere Tunnel geprüft. So können sich Stadtrat und Verwaltung noch lange beschäftigen. Und die Planung der "kleinen Leipzig-Lösungen" wie vor allem neue Straßenbahntrassen verschiebt sich auf 2025, dann 2026 ... . Bei den neuen S-Bahn-Linien nach Zeitz/Gera, Grimma/Döbeln, Weißenfels/Naumburg usw. geht es ja vermutlich auch nicht viel schneller.